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Beitrag vom 14.09.2004
Frauenrechte und Frauenwirklichkeit unter den Bedingungen der Globalisierung
Gerlinde Behrendt
Gender and Democracy - der Deutsche Frauenrat organisierte eine Konferenz zu aktuellen Tendenzen internationaler Frauenpolitik
Vor hundert Jahren fanden in Berlin drei wichtige Frauenkonferenzen statt, die als eine Initialzündung für den Kampf um die bürgerlichen Frauenrechte in Deutschland und Europa angesehen werden können. Das Frauenwahlrecht war einer der ersten und wichtigsten Erfolge dieser frühen Frauenbewegung. Inge von Bönninghausen, der Vorsitzenden des Deutschen Frauenrats ist es zu verdanken, dass nun mit einer Internationalen Frauenkonferenz ein Resümee zur Lage der Frauen gezogen werden konnte. Neun Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking fällt das Urteil durchaus zwiespältig aus. Schon der Konferenzort signalisierte den Teilnehmerinnen: Ja, wir sind angekommen - als internationale Konferenz angemessen in den Räumlichkeiten des Außenministeriums, aber mit Zugang nur über den hintersten Dienstboteneingang und unter Beachtung der strengsten Anti-Terror Eingangskontrollen.
Frauenrechte nützen wenig, wenn es keine Frauen an der Macht gibt
Frauen und Macht? Ja, sagt die
prominenteste Rednerin des Frauenkongresses, Gertrude Mongella, die Macht müssen Frauen sich schon nehmen. Sie ist Präsidentin des Panafrikanischen Parlaments, einer Einrichtung zur Integration der afrikanischen Staaten nach dem Vorbild des Europaparlaments. Frau Mongella hat sich in Tansania frühzeitig politisch für die Interessen von Frauen eingesetzt. Als Mädchen hat sie für ihre Schulausbildung gekämpft, schließlich ist die Mutter von vier Kindern Frauenministerin geworden. Sie war der Überzeugung, vieles besser zu können als Männer, eben weil Verbesserungen für Frauen dem ganzen Land zugute kommen. Seit sie als Generalsekretärin die Pekinger Weltfrauenkonferenz von 1995 leitete, liegt ihr Fokus auf der weltweiten Anerkennung der Frauenrechten als Menschenrechte.
Frauenrechte sind Menschenrechte - dieser Satz gilt erst seit der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz von 1993 für alle UN-Mitgliedsstaaten: als Ergebnis der Misshandlung von Frauen in Bosnien im jugoslawischen Bürgerkrieg. Das Frauenstimmrecht ist mittlerweile in fast allen demokratischen Ländern der Welt verwirklicht, in vielen Parlamenten sind mindestens 30% Frauen vertreten, mit der gleichberechtigten Teilhabe an Politik und Gesellschaft hapert es dennoch. Frau Mongella benennt als Ursachen kulturelle Traditionen und den ungleichen Zugang zu ökonomischen Ressourcen. Die weltweite Öffnung der Märkte, die Globalisierung, wirft ein Schlaglicht auf die Bereiche, in denen Frauen ins Hintertreffen geraten:
- soziale Auswirkungen der Globalisierung
- "The digital devide"
- Zugang zu Markt und Kapital
- Entwicklungsniveau in Wissenschaft und Technologie
- HIV/AIDS
- Armut
- kriegerische Konflikte und globaler Terrorismus
Frau Mongella äußerte die Befürchtung, dass viele Frauen ihre Rechte als garantiert ansehen. Die Erfahrung lehrt indessen, dass besondere Interessen von Frauen nur dann gehört werden, wenn sie von Frauen in leitenden Positionen auch formuliert und durchgesetzt werden - andernfalls bestehen die Rechte nur auf dem Papier und es ändert sich nichts.
Charlotte Burch, Direktorin des Center for women´s Global Leadership erklärt zu den erfreulichen Errungenschaften der Globalisierung, dass weltweit das Bewusstsein für die besonderen Interessen von Frauen in Politik und Gesellschaft zugenommen hat. Spätestens seit dem von der UN erklärten Jahr der Frau 1975 sind Frauen verstärkt als Akteurinnen auf der Weltbühne aufgetreten, haben juristische, politische und wirtschaftliche Schlüsselpositionen besetzt. Andererseits birgt die Globalisierung - Frau Burch spricht drastisch von der "hemmungslosen Ausbreitung des Kapitalismus" - für die Lage der Frauen erhebliche Herausforderungen. Sie benennt vier Handlungsfelder, in denen sich die Lage derzeit zuspitzt:
1. Geschlechtergleichheit muß globalisiert werden, nicht weibliche Armut.
2. Ein weltweites problematisches Phänomen ist der Fundamentalimus, religiöser und allgemein politischer Art, der verstärkt auf Kontrolle und Unterwerfung von Frauen ausgerichtet ist. Feministinnen aus Algerien, Polen, Brasilien, Indien und den USA beklagten Rückschritte in Bezug auf die Frauenrechte.
3. In engem Zusammenhang hierzu ist die Verletzung der körperlichen Integrität von Frauen zu sehen - eine dramatische weltweite Zunahme häuslicher Gewalt, die tabuisiert ist und sich weitgehend der öffentlichen Kontrolle entzieht.
4. Militarimus und Krieg, Einschränkungen der bürgerlichen Rechte und Freiheiten aufgrund von "Sicherheitsmaßnahmen" , die in besonderem Maße Frauen betreffen.
Die Schattenseiten der Globalisierung Es gibt aber nicht nur Frauen in Führungspositionen von repräsentativen politischen Organen. Die
Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Inge von Bönninghausen, wollte Frauenpolitik nicht beschränkt wissen auf UN- und Regierungspolitik. Interessant war es daher zu erfahren, wie sich die weltpolitische Entwicklung auf die politische Arbeit "vor Ort" in den Nicht-Regierungsorganisationen auswirkt.
Einerseits Fortschritte bei der Mitwirkung von Frauen an der Demokratisierung im Irak, aber auch erhebliche Probleme und Ängste beschrieb
Susan Ahmad-Böhm von der irakischen Frauenliga. Anders als in vielen Parteien würden Frauenorganisationen über ethnische und religiöse Grenzen hinweg miteinander reden und zusammenarbeiten. Mit den Auswirkungen der Kriege auf Frauen auf dem Balkan und in Afghanistan befasst ist die Organisation
medica mondiale, wie Selmin Casliskan berichtete. Die Organisation versorgt auf lokaler Ebene Frauen, die im Krieg Opfer von Vergewaltigungen geworden sind. Die Betreuung umfasst sowohl medizinische und psychologische Hilfen, hat aber auch einen politischen Akzent, indem betroffene Frauen als Bürgerinnen behandelt werden, deren Menschenwürde verletzt worden ist. Man(n) verletzt die Integrität von Frauen, um die gegenerische Kriegspartei zu demütigen - als bewusste Taktik eingesetzt, ist dies ein neues verstörendes Phänomen "moderner" Kriege.
Barbara Limanowska von der internationalen Organisation AWID (Association for women´s Rights in Development), Warschau, berichtete über eine weitere zweifelhafte "Wachstumsbranche" der Globalisierung: "Trafficking", Menschenhandel, Frauenhandel. Organisierte Schleuserbanden nutzen die ökonomische Notlage und Unerfahrenheit vor allem osteuropäischer und asiatischer Frauen, um sie mit falschen Versprechungen als Prostituierte an Bordelle zu verkaufen. Landen sie in westeuropäischen Ländern, werden sie als illegale Einwanderinnen behandelt, die Organisation AWID kämpft um die Anerkennung der Frauen als Bürgerinnen, deren Integrität verletzt wurde.
Frau Limanowska sieht den Feminismus in Polen und anderen osteuropäischen Ländern im Wandlungsprozess: 1989 glaubten viele Frauen noch, sie seien bereits gleichberechtigt und Frauenemanzipation sei ein historisches Thema der westeuropäischen Frauen. Mittlerweile erleben sie, dass sie in nie gekanntem Ausmaß von Armut und häuslicher Gewalt betroffen sind. Im Transformationsprozess Osteuropas wurden Fraueninteressen erst einmal zurück gestellt - der Abbau sozialer Standards betrifft immer hauptsächlich Frauen. Frau Limanowska sieht denn auch das Wiedererstarken der Frauenbewegung in Polen als Reaktion auf einen Rückschlag.
Fazit: Zu beobachten ist eine Feminisierung der Eliten auf der einen Seite aber auch eine ökonomische Marginalisierung von Frauen andererseits, die viele der beschriebenen Probleme erst schafft. Es entsteht eine soziale und auch geographische Kluft zwischen diesen Polen der Frauenpolitik: die erfolgreichen UN-Organisationen sitzen in New York, die Frauen in ärmeren Ländern haben keinen Zugang. Eine Verständigung oder gar Überwindung dieser Differenzen wird künftig schwerer werden.
Gleiche Chancen - aber wer nutzt sie besser? Frauen- und Familienministerin Renate Schmidt zog eine abschließende Bilanz für die Frauen in Deutschland. Wahlrecht, Frauenrecht als Menschenrecht, Frauen als Ministerinnen, all das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Konkurrenz um Arbeitsplätze und ökonomische Sicherheit härter geworden ist. Die Bundesregierung hat die Chancengleicheit von Frauen zum obersten Prinzip erhoben, die Chancen werden aber nicht gleichermaßen genutzt. Frau Schmidt betonte daher, dass sie es als ihre besondere Aufgabe ansieht, Frauen dabei stärker zu unterstützen. Immer noch ist Deutschland europäisches Schlusslicht bei der Betreuung der unter 3-jährigen, im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft ist das aber ein wesentlicher Punkt. Bei der Berufswahl ist es das Ziel, 40% Frauen in Zukunfstberufe zu bringen, Frauen wählen mit traumwandlerischer Sicherheit eine handvoll traditioneller Frauenberufe, in denen die Einkommenserwartung eher gering ist. Wie kommen Frauen an Geld? Banken sind eher bereit, ein flottes Jungmännerprojekt mal eben mit 10 Millionen zu subventionieren als einen Kredit für eine Existenzgründerin von 10.000 Euro herauszugeben. Ungleiche Bezahlung, aber auch Mangel an Selbstbewusstsein und die Angst davor, Forderungen zu stellen, sorgen immer noch dafür, dass Frauen hierzulande ökonomisch schlechter gestellt sind. Zivilrechtlich haben Frauen einiges erreicht, aber das ist bei weitem noch nicht genug!
Bevor die anvisierten Verbesserungen Wirkung zeigen, wird sich jedoch eine neue Gerechtigkeitslücke auftun. Frau Schmidt hat in der vergangenen Woche angekündigt, dass ihr Ministerium die Hartz IV-Gesetze einem "Gender Mainstreaming" unterziehen wird: wir sind gespannt, welche Einschätzung das Frauenministerium abgeben wird! Die Streichung des Arbeitslosengeldes II für Familienmitglieder, die noch gutverdienende Partner haben, betrifft - wieder einmal, es wird langsam langweilig! - in der überwiegenden Mehrzahl Frauen. Unterdessen verlassen wir langsam das Gebäude des Außenministeriums durch den Notausgang.
Links zu den Frauenorganisationen:http://www.awid.org/http://www.frauenrat.de/ http://www.medicamondiale.org/